Universidad de Vina del Mar
Organisation
Ein Auslandssemester ist in meinem Studium (Anglistik und Kulturanthropologie) nicht verpflichtend, wird aber empfohlen. Mir war klar, dass ich die Chance, in einem anderen Land studieren und leben zu dürfen, auf jeden Fall wahrnehmen wollte. Meine Kommilitonen*innen aus Anglistik gingen ins englischsprachige Ausland, logisch, aber ich hatte schon mal in einem anglophonen Land gelebt und wollte noch eine Sprache lernen. An meiner Heimatuni belegte ich also Spanischkurse und hatte vor der Abreise mehr oder weniger das B1-Level erreicht – was aber nicht unbedingt nötig ist: die Universidad Vina del Mar bietet gute Sprachkurse an; andere kamen ohne Spanischkenntnisse an und lernten in fünf Monaten unglaublich viel. Es hilft aber definitiv Grundkenntnisse mitzubringen, einfach um mehr Chilenen*innen und Muttersprachler*innen kennenzulernen. Besonders beim Reisen durch Südamerika in den Monaten danach war ich sehr froh und stolz darauf, mich richtig verständigen zu können.
Vorbereitungen
An meiner Heimatuni existieren zwar Partnerschaften mit südamerikanischen Universitäten, diese setzen jedoch das B2-Niveau und eine frühzeitige Bewerbung voraus. Dank College Contact lief der Bewerbungsprozess als Freemover viel flexibler und unkompliziert ab: Man füllt einen Bewerbungsbogen aus und schickt diesen ein; die netten Mitarbeiter*innen helfen bei Nachfragen weiter. Bei der UVM kann man sich einer Zusage ziemlich sicher sein, da es sich um eine Privatuni handelt und die Plätze meistens nicht beschränkt sind. Leider muss man dadurch im Gegensatz zu Partnerschaftsprogrammen, wie deutsche Universitäten sie anbieten, Studiengebühren bezahlen. (In Chile sind allerdings durch die Privatisierung selbst staatliche Unis teuer.) In meinem Fall wurden die Gebühren zum Glück vom Ausland-BAföG gedeckt. Ein Antrag lohnt sich auf jeden Fall, bedeutet aber organisatorischen Aufwand und nahm definitiv mehr Zeit in Anspruch als die Bewerbung an der UVM selbst.
Der nächste Schritt war der Flug, den ich altmodisch bei der Flugbörse meines Vertrauens buchte. Da ich nach dem Semester reisen wollte, ließ ich mich über die billigsten Alternativen von Südamerika nach Europa beraten und buchte einen Rückflug von Bogotá aus. Es lohnt sich, entweder nur den Hinflug zu buchen oder sich schon mal Gedanken über etwaige Reisepläne zu machen und nicht von Santiago zurückzufliegen, denn Verbindungen zwischen Deutschland und Chile sind teuer. Je nachdem sollte man sich auch um Impfungen wie Gelbfieber kümmern, die man vielleicht in anderen Ländern braucht.
Unterkunft
Auch wenn es eigentlich nicht nötig ist sich vorab um eine Wohnung zu kümmern, wurde ich zufällig über die Facebook-Gruppe meines „Austausch-Jahrgangs“ von meinen künftigen Mitbewohnerinnen kontaktiert und hatte unverhofft schon vor meiner Ankunft eine Wohnung. Als ich per Western Union 150€ nach Chile an unseren Vermieter überwies, war mir schon etwas bange. Trotzdem hat glücklicherweise alles funktioniert, die Wohnung war in Top-Zustand, und ohne meine Mitbewohnerinnen, zwei Mexikanerinnen & zwei Kolumbianerinnen, die Bürokratisches mit unserem sehr chilenisch sprechenden Vermieter klärten (angeblich das schwierigste Spanisch der Welt), hätte ich wohl am Anfang viel mehr Stress gehabt. Abgesehen davon kann ich es nur empfehlen, mit spanischsprechenden Leuten zu wohnen: Ohne meine Roomies wäre mein Spanisch heute mit Sicherheit nicht so gut und wir führen bis heute regelmäßig Telefonkonferenzen zwischen Bogotá, Guadalajara und Würzburg.
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Ankunft und Leben in Chile
An alle, die im chilenischen Sommer nach Viña gehen: Im Juli und August herrschen dort definitiv keine sommerlichen Temperaturen! Ich kam aus der deutschen Hitze bei kuschligen 4°C im Sommerkleid in Santiago an. Meine Mitbewohnerinnen waren vor mir dort, da die Orientierungswoche für die spanischsprachigen Kommilitonen*innen früher stattfindet, und beschrieben mir den Weg vom Flughafen in die Wohnung. (Man nimmt entweder den etwas teureren Direktbus, den man vorm Verlassen des Flughafens am Schalter von turbus (grüne Busse) bucht, oder fährt zum Busterminal Pajaritos und erwischt von dort einen Anschluss. Auf keinen Fall sollte man mit den Leuten mitgehen, die verwirrt aussehende Europäer*innen anquatschen und zu dubiosen Minibussen begleiten! Unabhängig voneinander wurden mit dieser Masche zwei meiner Freunde zum Bankautomaten kutschiert, um dort viel Geld für eine sehr teure, kurze Fahrt abzuheben. Außerdem bietet die UVM einen Abholservice an, den man aber nur nutzen kann, wenn man an exakt diesem Datum ankommt.) An sich ist Chile aber nicht unsicherer als manche Ecken einer deutschen Großstadt und ich kam immer ohne Probleme ans Ziel. Man muss eben ein bisschen Bescheid wissen, wie man wohin kommt, und ein wenig aufmerksamer sein als zuhause. Und die Leute sind sehr nett und hilfsbereit: Meine erste spanische Unterhaltung führte ich am Flughafen mit einem älteren Taxifahrer, der mir zeigte, wo ich in den Bus steigen musste.
Orientation
Über meine Mitbewohnerinnen lernte ich direkt andere mexikanische Studierende kennen, die leider ansonsten durch die UVM von den Internationals aus dem englischsprachigen Programm getrennt werden. Zum Beispiel finden zwei verschiedene Orientation Weeks (= Ersti-Tage) für die beiden Gruppen statt und die Kurse der Nicht-Muttersprachler*innen sind an einem anderen Campus als die der Muttersprachler*innen, die hauptsächlich am Campus Rodellilo unterrichtet werden. Das ist schade, weil man so an der Uni natürlich viel mehr Englisch (oder sogar Deutsch) spricht. Fürs englische Programm hieß es zuerst, unsere Kurse fänden am Campus Recreo statt, wegen Bauarbeiten wurden wir nach Miraflores ausgelagert – was wir erst im Laufe der Orientation Week erfuhren. Das war für viele ziemlich ärgerlich, die sich eine Wohnung im Viertel Recreo gesucht hatten. Aber wie so schön in der Einführungswoche gesagt wurde: „It’s not wrong, it’s different“ – manchmal musste man eben mit Gelassenheit auf diese Situationen reagieren. Und nachdem ich viele Stunden an Bushaltestellen verbrachte, wo ich auf die einzige Buslinie von meinem Apartment zum Campus wartete, wird mich keine Verspätung der Deutschen Bahn jemals wieder aus der Ruhe bringen.
International Club
Bei Veranstaltungen des International Clubs, der aus chilenischen und internationalen Studierenden besteht, konnten wir „Englischsprachigen“ dann wieder mit den Spanischsprechenden zusammenfinden. Außerdem bekamen wir alle eine*n chilenischen hermano*a zugeteilt, mit denen wir im Laufe des Semesters verschiedene „Aufgaben“ wie eine Stadttour erfüllen sollten und die generell als Ansprechpartner*innen für uns da waren. Außerdem erkundeten wir natürlich auch die Bars und Clubs der Stadt – „carrete“, Feiern gehen auf chilenisch, ist im Studentenort Viña und der Nachbarstadt Valparaíso jeden Tag möglich und als Mitglieder des International Clubs bekamen wir oft freien Eintritt. Die Internationals waren schnell wie eine große Familie und es gab im Endeffekt nicht mal Grüppchenbildung. Man verabredete sich in immer wechselnden WGs zur „previa“ oder alle trafen sich am Strand oder in Bars – das Spartako wurde sozusagen unser zweites Wohnzimmer. Direkt am Meer zu leben war sowieso das Beste, und sobald es wärmer wurde, fuhren wir zum Surfen nach Concon.
Studium und Unileben
Nach der Einführungswoche begann der Unterricht – schließlich waren wir nicht nur zum Feiern da. Anfangs konnte man die bei College Contact gewählten Seminare nochmal ändern, und ich beschloss mehr spanische Kurse zu belegen: „Historia socio-política de Chile“, „Rebelión y Revolución en Latinoamérica” und “Temas contemporáneos”, zusätzlich den englischen Kurs “Travel Literature” und einen Grammatikkurs. Für das „Semester in English“ zahlt man zwar mehr, darf dafür aber mit entsprechendem Sprachniveau auch spezielle Kurse auf Spanisch belegen, extra für Nicht-Muttersprachler*innen. Dadurch waren wir nur 3-4 Leute in den Kursen, was aber eine interessante Abwechslung zu deutschen Seminaren war. Für die Sprachkenntnisse wäre es möglicherweise noch besser, wenn man auch Kurse mit den Chilenen*innen belegen könnte. Diese dürfen zwar ebenfalls an den englischsprachigen Kursen teilnehmen, aber nur als eine Art Wahlfach, wodurch wenige das nutzten. In Travel Literature waren wir zum Beispiel zu dritt mit einer weiteren Deutschen und einem Chilenen.
Kommilitoninnen im „Semester in Spanish“ waren dagegen auch in regulären chilenischen Kursen, welche sie als anspruchsvoller als besagte Spezialkurse einschätzten. Ich erzielte mit meinen fünf Kursen sogar 28 ECTS-Punkte, der Workload war aber kaum mit einem Semester in Deutschland zu vergleichen: ich hatte nur an drei Tagen Uni und konnte Montage und Freitage für Ausflüge nutzen. Im Gegensatz zu Deutschland ist das chilenische System verschulter: Es gibt Anwesenheitspflicht und die Prüfungsleistung ist nicht eine einzige Hausarbeit/Klausur, sondern setzt sich zusammen aus Einzelnoten wie Essays, Präsentationen und sogar Hausaufgaben und Mitarbeit. Dadurch hatten wir immer irgendwas zu tun, aber keine stressige Prüfungsphase. Die Kurse waren insofern interessant, als dass man viel über die Geschichte Chiles und Südamerikas lernte, worüber wir als Europäer*innen und Nordamerikaner*innen wenig wussten, fachlich aber eher grundlegend (zum Beispiel wurden Konzepte von „Self“,„Other“ und Identität erklärt, die in den Kulturwissenschaften Grundbegriffe sind). Trotzdem habe ich viel Neues über das Land gelernt und kann mir einige Module anrechnen lassen.
Proteste ab Oktober 2019
Der normale Universitätsbetrieb kam Ende Oktober zum Erliegen, als die Unruhen in Chile begannen und Präsident Piñera den Ausnahmezustand inklusive Ausgangssperre ausrief. Die soziale Ungerechtigkeit im Land ist eigentlich offensichtlich, wenn auch von Reisenden häufig übersehen: mit Preisen wie in Deutschland und einem Mindestlohn von 360 € (vor den Protesten) gilt Chile dank vieler Super-Reicher zwar als neoliberales Wirtschaftswunder Südamerikas, dieses Vermögen ist aber auch sehr ungleich verteilt. Es ist das einzige Land der Welt, in dem das Wasser privatisiert ist. Die Verfassung stammt noch aus der Zeit des Diktators Pinochet, welche nie richtig aufgearbeitet wurde. Aus diesen und vielen anderen Gründen kann ich die Wut meiner chilenischen Mitstudierenden völlig verstehen und empfand es weniger als Einschränkung, sondern eher als Chance den „historischen Moment mitzuerleben“, wie mein Geschichtsprofessor sagte.
Die UVM hat recht gut reagiert: Man kümmerte sich um die Austauschstudierenden, sodass wir das Semester regulär beenden konnten. Es wurde außerdem ein Vortrag für alle organisiert, in dem Fragen beantwortet und Hintergründe erklärt wurden. In Kursen wurde Bezug darauf genommen und zum Teil der Syllabus geändert, um sich mehr mit der aktuellen Situation zu beschäftigen. Die Spanischsprechenden in den chilenischen Kursen, zum Beispiel meine Mitbewohnerinnen, mussten dagegen ständig nachhaken, unzählige Mails schreiben und wurden im Unklaren gelassen. Trotz hartem Durchgreifen von Polizei und Militär und Verbot der UVM nahmen einige Internationals sogar an Demonstrationen teil, um Freunde*innen aus Chile zu unterstützen. Bei diesen Protesten sind jedoch auch viele Menschen durch Polizeigewalt verletzt worden oder gestorben, während wir als privilegierte junge Studierende auf Reisen gingen oder in unsere Heimatländer zurückkehrten. Auch wenn man sich anfangs natürlich (ver)unsicher(t) fühlte, konnten wir so vermutlich mehr als in jedem Seminar lernen über Machtverhältnisse, Ungerechtigkeit und Privilegien, und werden die Situation in Chile aufmerksam weiterverfolgen.
Fazit
Es war wirklich ein Auslandssemester der besonderen Art: eine einzigartige Chance, neue Perspektiven auf diesen „fremden“ Kontinent Südamerika und das Land Chile, aber auch auf das eigene Zuhause, Deutschland und Europa zu gewinnen; unglaublich verschiedene Menschen aus anderen Ländern und Kulturen mit ganz unterschiedlichen Ansichten kennenzulernen; eine neue Sprache zu lernen – und zwischendrin die Zehen in den kalten Pazifik zu halten.