28 Feb 2017
Forschungsfeld Neurotoxikologie

Interview mit Graham Nicholson von der University of Technology Sydney

Als Professor für Neurotoxikologie an der UTS beschäftigt sich Graham Nicholson seit Jahren mit Spinnengiften.

In der vielfältigen Flora und Fauna Australiens tummeln sich die verschiedensten exotischen Tier- und Pflanzenarten. Neben den flauschigen Koalas oder dekorativen Palmfarnen finden die Bewohner am anderen Ende der Welt auch regelmäßig giftige Spinnen in ihrem Umfeld. Wäre es da nicht ein Stück weit "ausgleichende Gerechtigkeit", wenn man sich diese gefährliche Eigenschaft der Krabbeltiere zu Nutze machen könnte?

Mit der Forschung an Tiergiften beschäftigt sich unter anderem das anwendungsorientierte Studienfach Pharmazie. Graham Nicholson, Professor der Neurotoxikologie an der University of Technology Sydney, erzählte uns im Interview mehr über seine Forschungsschwerpunkte an der UTS und die vielfältigen Berufsaussichten nach dem Abschluss.


College Contact:
Warum haben Sie ihren Forschungsschwerpunkt auf bestimmte Tiergifte gelegt?

Prof. Nicholson:
Ich hatte Pharmazie als Hauptfach in einem naturwissenschaftlichen Studienprogramm, ähnlich zu dem, was ich heute lehre. Nach meinem Abschluss habe ich ein sogenanntes Honours Degree gemacht. Das ist ein zusätzliches viertes Jahr in Australien in dem man sich Vollzeit mit einem Forschungsprojekt beschäftigt. Die Zulassung ist wettbewerbsbasiert und nur die besten zehn Prozent schreiben sich in ein solches Honours Jahr ein. Dadurch habe ich mich in Pharmazie spezialisiert. Nach meinem Honours Jahr hatte ich Glück und bekam ein Stipendium für eine PhD.

Mein Promotionsthema beschäftigte sich mit den Auswirkungen von Barbituraten, die damals noch für viele Krankheiten verschrieben wurden. Heutzutage nutzt man diese kaum noch. Ich habe mir die chemische Struktur genauer angeschaut und wie das mit ihrer krampflösenden Wirkung in Verbindung stand, wofür sie noch heute verschrieben werden. Allerdings erzeugen ein paar wenige chemisch verwandte Barbiturate Krämpfe, also einen nicht gewollten Effekt. In meiner PhD habe ich untersucht, welcher Strukturteil diese Krämpfe auslöst, im Gegensatz zu der krampflösenden Wirkung. Das war eine traditionell pharmazeutische Forschungsarbeit. Danach erhielt ich eine Anstellung am New South Wales Institute of Technology, was später einmal zur UTS werden sollte, wo ich mit meinem ehemaligen Doktorvater arbeitete. Er forschte an einer sehr gefährlichen australischen Spinne namens funnel-web spider (Trichternetzspinne) -


College Contact:
Ja von dieser besonderen Spinne habe ich schon einmal gehört.

In Sydney wohnen viele verschiedene Spinnen, deren Gift in der Medizin oder Landwirtschaft nützlich sein kann.

Prof. Nicholson:
Die Sydney-Trichternetzspinne ist vermutlich die giftigste Spinne der Welt. Und zu diesem Zeitpunkt begann man erst mit der Entwicklung des Gegengifts. Das war in den frühen 80ern.

Mein ehemaliger Doktorvater brauchte jemanden, der das untersuchte und bestätigte, dass das Gegengift die gefährlichen Substanzen im Gift der funnel-web spider tatsächlich neutralisiert. Er fragte mich, ob ich ein paar einfache Experimente machen wollte, um das zu verifizieren. Es gab bereits Versuche an Affen, die bewiesen, dass es funktionierte, aber es sollte mithilfe von Wirbeltieren oder Vogelarten bekräftigt werden. Also habe ich ein paar Experimente gemacht und dann führte eines zum anderen.

Ich interessierte mich immer mehr für Tiergifte, wie sie gefährliche Stoffe produzieren und wie Gegengifte diese neutralisieren. Wir wollten dann mit Experimenten herausfinden, welche aktiven Komponenten in diesen Giften die Toxizität hervorriefen. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir das nicht genau. Danach testeten wir, ob das Gegengift einer Spinne das Gift einer verwandten Spinne neutralisieren kann. Das hätte bedeutet, dass man ein bestimmtes Gegengift zur Behandlung von Bissen anderer Spinnen nutzen könnte.

Es gibt etwa 42 Arten der funnel-web spider in Australien und wir wollten beweisen, dass das Gegengift bei vielen anderen Spinnen dieser Art wirkte. Aber dann beschäftigten wir uns mit der red-back spider, der Rotrückenspinne, die das andere große Problem in Australien darstellt. Tatsächlich werden mehr Menschen von dieser Spinne gebissen und benötigen ein Gegengift, als von der funnel-web spider. Dadurch wurde unsere Forschung internationaler, da die Rotrückenspinne nahe verwandt ist mit der Schwarzen Witwe in Amerika, der europäischen Schwarzen Witwe und einigen anderen Arten, aber damals gab es entweder noch kein Gegengift, es war noch nicht effektiv genug, ungetestet oder es gab eine gewisse Reserviertheit die in Übersee hergestellten Gegengifte zu nutzen. Wir wollten herausfinden, ob das Gegengift der Rotrückenspinne das Gift verschiedener Witwen und brown cupboard spiders neutralisieren konnte. Diese Forschung und meine Karriere als Toxikologe kamen dadurch richtig in Fahrt.


College Contact:
Das klingt nach einem bemerkenswerten Projekt mit großem Einfluss auf die medizinische Behandlung von Menschen, die gebissen wurden. Wie waren die nächsten Schritte?

Prof. Nicholson:
Ich hatte mich dann gefragt, „können wir einige Komponenten in diesen Giften nutzen? Könnte man daraus ein Medikament entwickeln?“, oder, worauf ich mich vor allem später konzentrierte, „können wir daraus Insektizide herstellen?“ Da Spinnen Insekten jagen, enthält ihr Gift Stoffe, die diese töten können. Greifen diese Komponenten speziell Insekten an, sodass sie bei Wirbeltieren, Fischen, Menschen, Vögeln usw. nicht wirken?

Daran forsche ich im Moment: ich versuche die Bestandteile dieser Tiergifte zu isolieren, teste sie auf eine Reaktion mit Insekten, bestätige, dass sie gezielt wirken und entwickle dann ein kommerzielles Produkt daraus. Wir hatten schon Erfolg dabei mit Kollegen der University of Queensland.


College Contact:
Was für ein Produkt haben Sie entwickelt?

Prof. Nicholson:
Wir haben ein Produkt in den USA auf dem Markt. Die UTS hat ein Patent mit Forschern der University of Queensland. Mein Kollege gründete dafür eine Firma, die er in den USA entwickelte. Die Firma heißt „Vestaron“ und mittlerweile hat sie eine EPA Zulassung (United States Environmental Protection Agency), um ein Insektizid zu vermarkten, das auf dem Gift der funnel-web spider basiert. Es fing mit der Entdeckung der tödlichen Stoffe im Gift an und endet nun mit dem kommerziellen Produkt, dass auf Felder, Zierpflanzen oder Gemüse wie Tomaten und Kartoffeln gesprüht werden kann. Dieses Gift ist extrem selektiv. Es wirkt bei Wirbeltieren nicht. Es greift nur Insekten an. Das ist wichtig, da die meisten Insektizide heutzutage - die konventionellen Insektizide der Agrochemie - vor allem Fischen schädigen. Wenn man diese Insektizide sprüht und sie in die Flüsse geraten, sterben Fische und andere Wirbeltiere.

So hat sich meine berufliche Laufbahn entwickelt: vom Untersuchen und Testen von Gegengiften über artübergreifende Reaktionen, der Ergründung der tödlichen Wirkung für den Menschen bis zur Entwicklung von kommerziellen Produkten aus diesen tierischen Giften. Zwischendurch habe ich an den verschiedensten Giften und toxischen Organismen geforscht, wozu Spinnen, Schlangen, Skorpione, Ameisen, Dinoflagellata, Schnabeltiere, Seeanemonen und Quallen gehören.


College Contact:
Klingt nach viel Erfahrung, echt spannend!

Prof. Nicholson:
Ja, es ist sehr umfangreich und spannend, weil Forschung genau das ist, was einen in der Wissenschaft antreibt, das Entdecken von neuem quasi jeden Tag. Wenn meine Studenten zu mir ins Büro kommen und sagen „Schau mal, ich habe dieses neue Protein in einem der Gifte gefunden und es scheint sich so ganz anders zu verhalten.“ Das ist es, was einen dazu motiviert, ständig auf Entdeckungstour zu sein.


Forscher wie Prof. Nicholson arbeiten heute in internationalen Teams in denen sich jeder mit seiner Expertise einbringt.

College Contact:
Sie sind auch Mitglied im UTS Centre for Health Technologies, das medizinische Geräte und biotechnologische Anwendungen zur Früherkennung und Behandlung von Zivilisationskrankheiten entwickelt. Warum ist es hierfür besonders wichtig, Professoren aus unterschiedlichen Disziplinen am Centre zusammen zu bringen?

Prof. Nicholson:
Wissenschaftliche Forschung ist sehr multi-disziplinär. Das klingt vielleicht komisch, aber alle relativ einfachen Entdeckungen wurden gemacht. In der Spitzenforschung braucht man heutzutage ein Forschungsteam mit völlig verschiedenen Fähigkeiten, um das Projekt voranzubringen. Wenn man sich die Forschungsarbeiten im Moment anschaut, findet man selten ein Paper mit nur ein oder zwei Autoren. Normalerweise sind es sechs, acht, zehn Autoren. Jeder davon hat wahrscheinlich eine andere Expertise, die zum Forschungsergebnis beitragen konnte.

Die primäre Forschungsmethode auf die sich mein Labor konzentriert, nennt sich Elektrophysiologie. Das beinhaltet die Untersuchung von der Erzeugung und Übertragung elektrischer Aktivität in Nervenzellen. Ich habe jedoch keinen großen molekularbiologischen Hintergrund, denn als ich Undergraduate-Student war, forschte man nicht viel in diesem Bereich. Daher verlasse ich mich auf die Expertise von anderen Molekularbiologen, um meine Forschung voranzubringen. Um Spitzenforschung in meinem Bereich zu betreiben, brauche ich Wissenschaftler aus der Chemie, dem Elektroingenieurwesen, der Molekularbiologie und solche, die strukturelle Biologie betreiben, die also die allgemeine Struktur unserer Giftmoleküle bestimmen können. Es gibt eine ganze Reihe an Methoden, die wir benötigen, um mit der Forschung weiter zu kommen. Die Mitgliedschaft im UTS Centre for Health Technologies - und von dieser Art Centre haben wir einige an der Uni − ermöglicht mir den Kontakt zu Forschern, die mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung meine Forschungsarbeit ergänzen, sowie den Zugang zu Geräten, die ich normalerweise nicht in meinem Labor habe usw. Zusätzlich ergänzt nationale und internationale Zusammenarbeit fehlende Fähigkeiten oder Ausstattung.


College Contact:
In Deutschland nutzen viele MINT-Studenten nicht die Möglichkeit, ein oder zwei Semester im Ausland zu studieren. Warum ist internationale Erfahrung aus Ihrer Sicht so wichtig für Studenten aus diesem Bereich?

Prof. Nicholson:
Wissenschaft ist sehr international. Die meisten Forscher tun sich mit vielen anderen aus dem Ausland zusammen. Für meine Forschung arbeite ich mit Kollegen aus Frankreich, Amerika, dem Vereinigten Königreich, Brasilien, der Schweiz, Singapur, Belgien, Japan, Französisch-Guayana und Mexiko. Es ist eine sehr internationale Disziplin.

Das zweite ist, dass Englisch die Sprache der Wissenschaft ist. Sich mit dem wissenschaftlichen Umfeld in einem englischsprachigen Land vertraut zu machen, ist daher ein echtes Plus, weil man dadurch nicht nur allgemeine, sondern auch fachspezifische Sprachkenntnisse verbessert.

Drittens denke ich, dass man sich mit verschiedenen Forschungsumgebungen auseinandersetzt, je nachdem, worin man forscht. Vor allem in den Umweltwissenschaften lernt man eine neue Flora und Fauna kennen, andere Lebensräume und Nischen in denen Tiere und Pflanzen leben, die man in Deutschland oder Europa nicht treffen würde.

Meiner Meinung nach geht es bei einem Auslandsaufenthalt vor allem darum, mehr über sich selbst zu lernen. Da gibt es den sozialen Aspekt, seine Komfortzone zu verlassen und weit weg von der Familie zu leben. Man muss für sich sorgen, da lernt man eine Menge über sich selbst. Man gerät in Situationen, in denen man Probleme lösen muss und über moralische, kulturelle und soziale Unterschiede stolpert. So etwas erlebt man zu Hause eher nicht. Vor allem, wenn man in der Heimatstadt zur Uni geht.


College Contact:
Welche Berufsaussichten haben Pharmakologen und Toxikologen, die an der UTS studiert haben?

Am neu gestalteten Campus der UTS lernen Studierende wissenschaftliche Grundlagen im Super Lab und spezialisieren sich dann beispielsweise in Pharmazie.

Prof. Nicholson:
Die kursbasierten Abschlüsse, die ich beschrieben habe, bestehen überwiegend aus Pharmazie und Toxikologie. Undergraduate-Studenten oder Studenten, die einen Master by coursework absolvieren, beschäftigen sich nur in geringem Maße mit Toxikologie. Dieser Bereich beschreibt die schädliche Wirkung von Arzneimitteln (vor allem bei einer Überdosis), Insektiziden und natürlichen Giften. An der UTS haben wir keinen umfassenden Toxikologiekurs und konzentrieren uns vielmehr auf die Pharmazie.

Bezüglich der Berufsaussichten für Absolventen der Biomedizin und Medizin, die Pharmazie belegt haben, gibt es die Möglichkeit, in Pharmaunternehmen zu arbeiten oder in der Arzneientwicklung, im Marketing für Medikamente, der Arzneimittelzulassung oder bei klinischen Studien für neue oder bereits zugelassene Medikamente. Die Kombination von dem naturwissenschaftlichen Studiengang mit einem wirtschaftlichen ermöglicht es beispielsweise im Marketing für pharmazeutische Arzneien zu arbeiten, da die Absolventen die technische Seite in Bezug auf die Inhaltsstoffe verstehen.

Die Studenten machen ihren Abschluss und haben Kenntnisse aus der Molekularbiologie, Biochemie, Mikrobiologie und aus vielen anderen Disziplinen − je nachdem, welches Hauptfach sie gewählt haben. Pharmazie ist nur Teil von zwei Hauptfächern. Daher belegen sie auch eine große Bandbreite an anderen Themen in denen sie auch nach Jobs schauen können. Mit einem Abschluss in Biomedizin oder Medizin mit Schwerpunkt Pharmazie, liegen die Jobmöglichkeiten nicht nur in der Pharmaindustrie. Die Absolventen arbeiten oft in Biotechfirmen, manche arbeiten in Laboren von Krankenhäusern, andere in Forschungslaboren oder als wissenschaftliche Mitarbeiter. Einige machen einen höheren Abschluss und spezialisieren sich in Pharmazie oder Toxikologie. Es gibt viele Möglichkeiten.

College Contact:
Vielen Dank für die tollen Einblicke, Prof. Nichsolson!

Ihr seid neugierig geworden, welche Geheimnisse und Heilmittel die Pharmazie hervorbringen kann? Mit einem Auslandssemester, Bachelor- oder Masterstudium in diesem Bereich an der modernen UTS legt ihr den Grundstein für eine spätere internationale Forschungsarbeit. Studienberaterin Christiane hilft euch bei allen Fragen rund um das Studium an der australischen Universität - persönlich, via E-Mail und am Telefon.