Lehrveranstaltungen in Kanada

Ihr befindet euch mitten im Bewerbungsprozess für ein Auslandssemester in Kanada und müsst nun eure Kurswahl angeben? Oder ihr habt  die Zusage der Hochschule in Kanada, bei der ihr euch beworben habt und plant nun das erste Semester eures Bachelor- oder Masterstudiums? In beiden Fällen bedeutet dies, dass ihr euch nun konkret mit den angebotenen Lehrveranstaltungen eurer Hochschule in Kanada vertraut machen müsst. Wer ein komplettes Studium in Kanada absolviert, sollte sich spätestens jetzt mit der Prüfungsordnung beziehungsweise dem Curriculum seines Studiengangs auseinandersetzen. Denn die Abfolge der zu besuchenden Lehrveranstaltungen ist normalerweise geregelt und entspricht einer thematischen und zeitlichen Logik.

Die genaue Auflistung der angebotenen Kurse inklusive Kursbeschreibung (Syllabus) findet ihr im Kurskatalog der Uni. Wer von euch als Visiting Student in Kanada studiert, wird ihn sich eventuell bereits in der Orientierungsphase angeschaut haben, als es um die Wahl der passenden Hochschule für das Auslandssemester ging.

Arten von Lehrveranstaltungen in Kanada

Lectures, Seminars, Tutorials - die Arten von Lehrveranstaltungen in Kanada sind ähnlich wie in Deutschland.

Bei Lehrveranstaltungen spricht man in Kanada allgemein von courses – doch ebenso wie an deutschen Hochschulen verbergen sich hinter dem Ausdruck course verschiedene Typen von Lehrveranstaltungen. Sie unterscheiden sich in der Art

  • der didaktischen Ausrichtung (Frontalunterricht / interaktiver Unterricht)
  • der erforderlichen Qualifikation der Teilnehmer
  • der Orientierung (praktisch ausgerichtet / theoretisch ausgerichtet)

Auf dem ersten Blick scheinen sich die verschiedenen Arten an Lehrveranstaltungen mit denen in Deutschland zu decken. Die Arbeitsbelastung ist allerdings nicht nur höher, sondern vor allen Dingen kontinuierlicher als hierzulande. Denn abgesehen vom hohen Lesepensum und einer stark kontrollierten Anwesenheitspflicht, wird der Fortschritt der Studenten während des Semesters laufend überprüft, wie etwa durch kleinere Tests oder dem Verfassen von Essays.

Im Folgenden erfahrt ihr, welche Arten an Lehrveranstaltungen in Kanada üblich sind und wie diese aufgebaut sind. Übrigens werden einige Kurstypen auch häufig miteinander kombiniert, worauf in der Regel dann im Kursverzeichnis hingewiesen wird.

Lecture

Lectures in Kanada entsprechen den Vorlesungen in Deutschland. Meistens dauern sie 90 Minuten und finden einmal wöchentlich in Lecture Halls statt. Ebenso wie in Deutschland ist die Anzahl der Teilnehmer sehr hoch, da hier Studenten aus zwar artverwandten aber dennoch unterschiedlichen Studiengängen teilnehmen. Allein aufgrund der Größe, handelt es sich bei Lectures um Frontalunterricht, der auf reine Theorievermittlung ausgerichtet ist. Lectures sind vor allem dazu da, um einer großen Anzahl an Studenten schnell und effizient bestimmte Grundlagen und einen Überblick zu vermitteln.

Lectures besuchen vor allem Undergraduate-Studenten in den ersten Semestern ihres Studiums. Zu den meisten Vorlesungen gehört, neben einem Script und PowerPoint-Folien, häufig auch ein nicht selten sehr umfangreiches Lehrbuch, dessen Inhalt dann auch Stoff der Prüfung sein kann und selbstständig während des Semesters erarbeitet werden muss. Um zu überprüfen, dass die Studenten auch „bei der Sache sind“ und den Unterricht angemessen vor- und nachbereiten, finden zu Beginn der Vorlesungen häufig kürzere Tests (Quizzes) statt. Es empfiehlt sich also nicht, Lectures zu „schwänzen“ oder sich dort einfach „berieseln“ zu lassen.

Aufgrund des passiven Lernens und der Theorielastigkeit, werden Lectures häufig mit anderen Arten von Lehrveranstaltungen kombiniert. So werden etwa in Tutorials oder in Laboratories die in den Lectures behandelten Themen besprochen oder praktisch angewendet. In der Regel ist der Besuch aller mit der Vorlesung verbundenen Lehrveranstaltungen verpflichtend, zumal auch dort Leistungsüberprüfungen in Form von Assignments oder Gruppenarbeiten stattfinden können.

Seminar

An kanadischen Universitäten bezeichnet der Begriff Seminar eine Lehrveranstaltung, die intensiven Unterricht in Bezug auf ein Hauptfach bietet. Hier sind die Studieninhalte sehr viel spezifischer als in den Lectures und die Anzahl der Studierenden in einem Seminar sind möglichst gering. In Deutschland kann es vorkommen, dass eine als Seminar ausgegebene Lehrveranstaltung aufgrund der vielen Teilnehmer eher Vorlesungscharakter hat. In Kanada hingegen nehmen in der Regel nicht mehr als zwanzig  Studenten an einem Seminar teil.

Seminare besuchen die kanadischen Studenten normalerweise erst im fortgeschrittenen Studium. Ziel von Seminaren ist es, den Studenten die Methodologie des jeweiligen Fachs näher zu bringen und sich schon einmal mit diversen Beispielen an möglichen Problemen in der Forschung auseinanderzusetzen. Diskussionen und gegenseitiger Austausch spielen hier eine wichtige Rolle, der Unterricht ist also interaktiv gestaltet und dauert in der Regel drei Stunden. Leistungsüberprüfungen finden hier in der Regel durch regelmäßiges Verfassen von Essays oder der Bearbeitung von Assignments oder Case Studies statt.

Tutorial / Discussion Section

Tutorials (oder auch Discussion Sections) entsprechen den an deutschen Hochschulen bekannten Tutorien. Sie dienen meistens als Ergänzung zu Lectures und werden in der Regel von einem Teaching Assistant, einem akademischen Mitarbeiter oder auch einem Graduate-Studenten geleitet. Die Teilnehmer der Vorlesung werden noch einmal in kleinere Gruppen auf die Tutorials verteilt und werden in dessen Rahmen individueller betreut. Hier gibt es Raum für Fragen sowie konkrete Hilfestellungen und der Unterricht ist wesentlich interaktiver gestaltet. Die in der Lecture angesprochenen Themen und Theorien werden noch einmal erläutert und genauer erklärt. Tutorials sind als Ergänzung zur belegten Lecture häufig Pflichtveranstaltungen, zu denen auch Gruppenarbeiten und das Einreichen von Assignments gehören können, die auch benotet werden.

Laboratory / Studio

Praktisch ausgerichtete Lehrveranstaltungen an kanadischen Hochschulen heißen Laboratory oder Studio.

In natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern sind Lehrveranstaltungen, die in einem entsprechend ausgestatteten Labor stattfinden, fest im Lehrplan integriert. Sie sind häufig eine Ergänzung zu einer Lecture, in denen das nötige theoretische Wissen vermittelt wird. Auch die Kombination Lecture + Laboratory + Tutorial kommt häufig vor.

In künstlerisch-kreativen Disziplinen heißen diese praktisch orientierten Lehrveranstaltungen Studio.

Field Course

Field Courses beinhalten mindestens eine Off-Campus-Exkursion und sind vor allem in Studiengängen der Archäologie, Biologie, Kunstgeschichte oder Entwicklungszusammenarbeit weit verbreitet. Field Courses bestehen in der Regel, neben der Exkursion, aus einer vorbereitenden und nachbereitenden Phase on-campus.

Project Course

In dieser Form der Lehrveranstaltung geht es um die Planung und Realisierung eines Projektes, allein oder in einer Gruppe. Project Courses sind vor allem in Studiengängen der Ingenieur- oder Wirtschaftswissenschaften üblich. Häufig arbeiten die Studierenden mit ansässigen Unternehmen zusammen und werden durch einen Supervisor von der Uni und einem Supervisor aus dem jeweiligen Unternehmen betreut.

Clinical Course

Clinical Courses sind häufig turnusmäßiger Bestandteil in Studienfächern wie Medizin, Pharmazie, Biomedizin oder Biochemie. Diese Lehrveranstaltung kann on- oder off-campus in entsprechenden Einrichtungen stattfinden. Auch hier findet eine sehr enge und individuelle Betreuung durch eine Lehrperson statt.

Colloquium

Auch die an deutschen Universitäten verbreitete Lehrveranstaltungsart Colloquium findet sich in gleicher Form an kanadischen Universitäten. Hierbei handelt es sich um eine Veranstaltung, die sich an Studierende, meist Doktoranden oder Masterstudenten, richtet, die an einem Forschungsprojekt arbeiten. Im Colloquium stellen sie dieses den anderen Teilnehmern vor und es kann darüber diskutiert werden.

Elective / Required Courses

Wie im deutschen Studiensystem auch, bestehen die kanadischen Studiengänge zu einem Teil aus Pflichtveranstaltungen (Required Courses), aus Wahlpflichtveranstaltungen und aus echten Wahlveranstaltungen (Electives). Electives sind häufig Kurse, die den Studenten bestimmte akademische und berufliche Schlüsselqualifikationen vermitteln. So erlernen sie etwa in einem Research Method Course die grundlegenden Forschungsmethoden ihrer Disziplin oder verbessern ihre Fähigkeiten im wissenschaftlichen Schreiben in einem Writing Course.


Kurskataloge an kanadischen Hochschulen

Den Kurskatalog veröffentlichen die Colleges und Universitäten in Kanada in der Regel pro Semester / pro Term online als PDF-Datei zum Herunterladen. In diesem Katalog findet ihr sämtliche Kurse, die im jeweiligen Semester stattfinden mit

  • Kurstitel
  • Kursnummer: Diese Nummer, auch course code genannt, gibt Aufschluss über das Kursniveau (bezogen auf das Studienjahr), die Anzahl an Credits und über den Fachbereich. Die kanadischen Hochschulen verwenden keinen einheitlichen Code. Der jeweilige Schlüssel ist normalerweise im Kurskatalog erläutert.
  • Kursbeschreibung (Angabe der vom Kurs behandelten Themen)
  • Kurstyp (beispielsweise Lecture, Seminar, Lab etc.)
  • Voraussetzungen (z.B. Studiengang, fachliche Voraussetzungen)

Lest euch vor allem auch die ersten Seiten des Katalogs durch, denn hier findet ihr häufig viele nützliche allgemeine Informationen, beispielsweise zum verwendeten Notensystem, dem akademischen Jahr oder Hinweise zu verschiedenen Student Supports. Auch Infos und Fristen bezüglich der sogenannten Add & Drop Period sind üblicherweise mitangegeben.


Prüfungsformen und Notenvergabe in Kanada

An kanadischen Hochschulen müssen die Studenten das ganze Semester über am Ball bleiben!

Wie oben bereits erwähnt, erfolgen in den einzelnen Lehrveranstaltungen in Kanada während des Semesters kontinuierlich Leistungsüberprüfungen. Aus diesem Grund belegen kanadische Studenten maximal fünf Veranstaltungen im Semester – eine Anzahl, die deutschen Studenten anfangs gering erscheinen mag. Die stetige Arbeitsbelastung sollte jedoch nicht unterschätzt werden. Die Anwesenheit in den Lehrveranstaltungen wird übrigens überprüft und häufig fließt auch die mündliche Beteiligung in die Endnote mit ein. Es ist also essenziell, stets am Ball zu bleiben, um am Ende auch eine gute Note zu erhalten.

Während Bachelorstudenten in ihren Veranstaltungen häufig kleinere Zwischentests (Quizzes) absolvieren und Assignments bearbeiten müssen, läuft es im Masterstudium nicht mehr ganz so verschult ab. Allerdings ist im Masterstudium das Lesepensum extrem hoch und die Studenten müssen parallel zu den Seminaren Hausarbeiten oder Paper verfassen, die sie am Ende des Semesters dann abgeben müssen. Hinzu kommen Essays, Case Studies oder Assignments. Und auch eine rege mündliche Beteiligung empfiehlt sich, denn die Graduiertenkurse sind eher klein und Zurückhaltung würde sicherlich negativ auffallen. Zudem ist der Kontakt zu den Dozenten im Master- / PhD-Studium eng und die Veranstaltungen haben ein hohes Niveau.

Folgende Formen der Leistungsüberprüfung sind an kanadischen Hochschulen üblich:

  • Assignment: Umfangreiche Fragen, die bearbeitet werden müssen und mit den „Übungsblättern“ an deutschen Unis zu vergleichen sind.
  • Quiz: Quizzes sind kurze Multiple-Choice-Tests zu Passagen im Lehrbuch, die für die Sitzung vorbereitet werden sollten. Sind sehr häufig in den Lehrveranstaltungen für Bachelorstudenten und erfolgen zu Beginn einer Sitzung.
  • Journal: Das Journal ist ein Seminartagebuch, in dem die Studenten ihre Gedanken und Erkenntnisse zu den behandelten Unterrichtsinhalten dokumentieren.
  • Paper (Exposé / Essay / Case Study): Kürzere schriftliche Arbeiten von bis zu fünf Seiten, die die Studenten kursbegleitend verfassen und abgeben. Die Form dieser schriftlichen Arbeiten variiert je nach Fachbereich. In Sprach- und kulturwissenschaftlichen Fächern überwiegen Exposés und Essays. In den natur-, ingenieur- oder wirtschaftswissenschaftlichen Bereichen bearbeiten die Studenten eher Case Studies (Fallbeispiele) oder verfassen Paper zu Forschungsthemen. Das Lernen anhand von Case Studies ist an kanadischen Universitäten übrigens verbreiteter als an deutschen Hochschulen.
  • Term Paper / Research Paper: Längere Hausarbeit, die in der Regel während des Semesters geschrieben und am letzten Kurstag abgegeben werden muss.
  • Referat / Gruppenarbeit / Projekt: Wie auch in Deutschland, sind Referate, Gruppenarbeiten und kleinere Projekte häufig Bestandteil von Seminaren in Kanada.
  • Midterm Exam: In der Mitte des Semesters eine Prüfung, in welcher der bis dato behandelte Stoff abgefragt wird. Häufig mit einem hohen Anteil an Multiple-Choice-Fragen.
  • Final Exam: Abschlussprüfung am Ende des Semesters, in dem der gesamte Stoff des Semesters abgefragt wird.

Benotung in den Lehrveranstaltungen in Kanada

Wie oben ersichtlich, ist die Arbeitsbelastung eines Studiums in Kanada nicht zu unterschätzen. Während es an deutschen Universitäten vor allem auf die Abschlussprüfung ankommt, ist in Kanada kontinuierliche Leistung gefragt. Denn jedes Quiz, Assignment und Paper fließt in die Endnote mit ein. Dies hat natürlich den Vorteil, dass eine weniger gute Note im Final nicht so schlimm ist, wenn die anderen Teilleistungen gut bewertet wurden. Der prozentuale Anteil der einzelnen Leistungsüberprüfungen auf die Endnote ist unterschiedlich und wird normalerweise in der ersten Sitzung vom Dozenten mitgeteilt.

Die Zusammensetzung der Endnote kann beispielsweise so aussehen: Assignments (15%), Labor (20%), Project (25%), Midterm (15%), Final (25%).

Atmosphäre in den Lehr­veranstaltungen in Kanada

In ihren Erfahrungsberichten zum Auslandsstudium in Kanada schwärmen die Studenten häufig von der sehr persönlichen Atmosphäre, die in den Lehrveranstaltungen in Kanada üblich ist. Die Dozenten werden normalerweise mit Vornamen angesprochen und in nur kurzer Zeit kennen auch die Dozenten die Namen ihrer Studenten. Gerade in den kleineren Veranstaltungen, wie in Seminars oder Labs, lernen sich die Studenten schnell gegenseitig kennen. Diskussion und Interaktion spielen eine wichtige Rolle.

Kanadische Hochschulen sehen sich, nicht zuletzt aufgrund der hohen Studiengebühren, auch als Serviceeinrichtungen. Die Lehrenden haben den Auftrag, ihre Studenten so gut es geht dabei zu unterstützen, in Regelstudienzeit einen guten akademischen Abschluss zu erreichen und es herrscht eine Open-Door-Policy. Dass auf eine Lehrperson hunderte Studierende kommen, so wie man es teilweise aus Deutschland kennt, ist in Kanada undenkbar. Die regelmäßigen Leistungskontrollen, gerade im Bachelorstudium, sind vor allem auch dazu da, um rechtzeitig reagieren zu können, wenn ein Student nicht mehr „mitkommt“.


Kanadische Lehr­veranstaltungen und Unterschiede zu Deutschland

Im Großen und Ganzen sind die Lehrveranstaltungen in Kanada durchaus mit denen in Deutschland zu vergleichen. Der größte Unterschied besteht wohl in der Art und Häufigkeit der Leistungsüberprüfungen während des Semesters. Dass sie von Anfang an und das gesamte Semester hindurch volle Leistung zeigen müssen, bedeutet für deutsche Studenten sicherlich zunächst eine Umstellung. Allerdings werden sie auch sehr schnell feststellen, wie angenehm es ist, wenn nicht alles von einer einzigen Prüfung am Ende des Semesters abhängt.

Ein weiterer Unterschied zu Deutschland ist außerdem das Studenten-Dozenten-Verhältnis, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Die Studiengebühren in Kanada sind zugegebenermaßen hoch, allerdings profitieren die Studenten von der hohen Anzahl an Lehrkräften und der dadurch gegebenen engmaschigen Betreuung.