Kulturelle Vorbereitung des Auslandsstudiums

Die Bewerbung zusammenstellen und einreichen, ein Motivationsschreiben verfassen, eine Auslandskrankenversicherung abschließen, das Studentenvisum beantragen… Im Vorfeld eines Auslandsstudiums erscheint vielen Studenten die praktische Vorbereitung als „die stressigste Phase“. Doch wie sieht es mit der kulturellen Vorbereitung auf ein Auslandsstudium aus? Diese wird allzu häufig vernachlässigt, ist aber mindestens genauso wichtig, damit das Studium im Ausland zum Erfolg wird.

Je nachdem, in welches Studienland es euch zieht, werdet ihr mit mehr oder weniger großen kulturellen Unterschieden konfrontiert, angefangen beim Essen bis hin zu fremd erscheinenden Kommunikationsweisen und Verhaltensregeln. Hier kann es schnell zu Unverständnis, zu Missverständnissen sowie zu Frustrationen kommen. Unangenehme Gefühle, die wiederum einen sogenannten „Kulturschock“ auslösen können.

Doch was ist eigentlich Kultur und worin bestehen kulturelle Unterschiede? Wie genau sieht ein „Kulturschock“ aus und wie kann ich mich am besten darauf vorbereiten? Und was hat das alles mit „Interkultureller Kompetenz“ zu tun? Hier und auf den folgenden Seiten erfahrt ihr, wie ihr euch kulturell auf euer Auslandsstudium vorbereiten könnt.

Der Begriff „Kultur“

Kultur, kulturelle Unterschiede, Kulturschock: All dies sollte bei der kulturellen Vorbereitung des Auslandsstudiums eine Rolle spielen.

Was ist eigentlich Kultur? Das Wort „Kultur“ stammt aus dem lateinischen cultura (Pflege, Ackerbau, Bearbeitung) und bezeichnet zunächst einmal ganz allgemein alles das, was von Menschen gemacht wird. In diesem Sinne bedeutet es also das Gegenteil von Natur. Allerdings ist alles ein bisschen komplizierter, denn Wissenschaftler machen sich schon lange darüber Gedanken, was es mit Kultur eigentlich auf sich hat und es gibt unterschiedliche Begriffe von Kultur.

Kulturbegriff: Eng, weit und offen

Es gibt unterschiedliche Eingrenzungen in Bezug darauf, was unter den Begriff Kultur fällt. So gibt es einen engen und einen weiten sowie einen geschlossenen und einen offenen Kulturbegriff.

  • Enger Kulturbegriff: Mit Kultur ist hier nur die „Hochkultur“ gemeint und betrifft also nur die Dinge, die in den Bereich der höheren Bildung fallen, wie beispielsweise Kunstwerke, Literatur oder auch wissenschaftliche Werke. Das Feuilleton, der „Kulturteil“ der Zeitung, ist aus dem engen Kulturbegriff heraus entstanden.
  • Erweiterter Kulturbegriff: Der weite Kulturbegriff schließt alles ein, was vom Menschen „gemacht“ wurde: Sprache, Religion, Ethik, Technik, Architektur etc.
    • Geschlossen: Die kulturellen Erscheinungen wie Sprache, Religion usw. werden hier einem Territorium oder einer Nation zugeordnet. Hier werden also Grenzen gezogen, um die eine Kultur von der anderen Kultur zu unterscheiden. Man spricht hier auch vom Container-Prinzip, weil die verschiedenen Kulturen voneinander isoliert betrachtet werden.
    • Offen: Der offene Kulturbegriff sieht Kulturen als Netzwerke, die alle irgendwie miteinander in Beziehung stehen und sich auch beeinflussen. Kulturen sind nicht klar abgrenzbar, sondern an ihren Rändern unscharf („fuzzy“). Der offene Kulturbegriff wird der Tatsache, dass wir in globalisierten, transnationalen Gesellschaften leben, am ehesten gerecht.

Sowohl der offene als auch der geschlossen Kulturbegriff haben ihre Berechtigung. Der geschlossene Kulturbegriff bietet eine grobe Orientierung und auch die Möglichkeit, kulturelle Unterschiede besser zu beschreiben. Der offene Kulturbegriff ist die Nahperspektive. Hier kann man sehen, dass alle Kulturen offen sind, dass sie sich verändern und auch aus vielen verschiedenen Mikrokulturen bestehen, die alle miteinander in Beziehung stehen.


Kulturelle Unterschiede im Auslandsstudium

Während eures Auslandsstudiums werdet ihr früher oder später mit mehr oder weniger großen kulturellen Unterschieden konfrontiert werden. Auch ein Bewusstsein darüber, was kulturelle Unterschiede eigentlich sind und wie man am besten mit ihnen umgeht, gehört zur kulturellen Vorbereitung eines Auslandsstudiums.

Korrekterweise müsste man hier eigentlich von „kultureller Differenz“ sprechen, denn dass sich Kulturen zwangsläufig voneinander unterscheiden liegt auf der Hand. Gemeint sind hier kulturelle Unterschiede, die Individuen (oder auch Gruppen), die aus unterschiedlichen Kulturen kommen, wahrnehmen, wenn sie miteinander kommunizieren.

Um Kulturen besser beschreiben und voneinander abgrenzen zu können, haben sich Kulturwissenschaftler mit „Dimensionen von Kulturen“ befasst. Sie umfassen beispielsweise folgende Indikatoren:

  • Einstellung zur Umwelt: Verhaltensorientierung und Entscheidungsfindung (sach- oder personenbezogen)
  • Umgang mit Zeit
  • Umgang mit Hierarchie und Ungleichheit
  • Trennung oder Nicht-Trennung von Privatsphäre und öffentlichem Raum
  • Art der Kommunikation: Direkt oder indirekt
  • Äußerung oder Nicht-Äußerung von Emotionen
  • Blick- und Körperkontakt
  • Umgang mit Regeln
  • Umgang mit Problemen
  • Unsicherheitsvermeidung / Umgang mit Ungewissheit

Diese Einordnungen und Zuschreibungen dienen einer groben Orientierung und sind gewiss keine allgemeingültigen Eigenschaften von Angehörigen einer bestimmten Kultur (Container- / Schubladendenken). Es geht vielmehr um den Kern einer Kultur, um die etablierten Strukturen, wobei man nicht vergessen darf, dass sich Kulturen immer auch im Wandel befinden.

Es ist wichtig, die im Auslandsstudium wahrgenommenen kulturellen Unterschiede „auszuhalten“ und sie auch zu akzeptieren. Überwiegt das Gefühl der Überforderung und habt ihr Probleme, euch der neuen Kultur anzupassen, könntet ihr einen Kulturschock erleben.


Kulturschock im Auslandsstudium

Wer sich kulturell auf sein Auslandsstudium vorbereitet, sollte sich auch mit dem Phänomen "Kulturschock" beschäftigen.

Wir leben in einer globalisierten Informationsgesellschaft, in der es selbstverständlich geworden ist, sich schnell und unkompliziert Informationen einzuholen. Durch die Nachrichten erfahrt ihr tagtäglich, was in China, Australien oder den USA gerade los ist und auch spezielles Hintergrundwissen ist nur einen Klick entfernt. Die Kontinente sind näher zusammengerückt, sie sind vernetzt. Umso überraschter seid ihr dann vielleicht, wenn ihr, beispielsweise während eines Auslandsstudiums, merkt: Hier ist ja alles ganz anders als erwartet. All die wahrgenommenen Unterschiede erscheinen zunächst spannend und exotisch.

Doch schnell kann es auch zu Reizüberflutung und zu Gefühlen der Überforderung kommen, weil ihr euch in diesem fremden „Regelwerk“ nicht zurechtfindet und auch die Sprache nicht gut genug beherrscht. Das Leben in der anderen Kultur hält überraschend viele „Stolpersteine“, culture bumps, parat und so schlägt die anfängliche Euphorie in Frustration um. Ihr fangt an, alles infrage zu stellen, auch euch selbst, empfindet die andere Kultur als irrational und resigniert. Gleichzeit neigt ihr dazu, die eigene Kultur aufzuwerten und die andere Kultur abzulehnen. Ihr befindet euch am Tiefpunkt – aber keine Sorge, das ist normal und auch nur eine von fünf Phasen des typischen Anpassungsprozesses an eine fremde Kultur, der insgesamt als „Kulturschock“ zusammengefasst wird:

  1. Euphorie ("honeymoon stage"): Man sieht nur das, was man sehen möchte und das dem Bild entspricht, dass man sich zuvor vom Land und der „Landeskultur“ gemacht hat. Alles ist neu und spannend. Das ist die Phase, in der man noch Tourist ist.
  2. Missverständnisse: In dieser Phase kommt es vermehrt zu Missverständnissen und interkulturellen Kommunikationsschwierigkeiten, weil man die Normalitätsregeln der anderen Kultur nicht erkennt.
  3. Kollision / Krise: Der eigentliche Kulturschock. Die Ursachen der Missverständnisse bleiben einem verborgen, man resigniert und neigt dazu, die Fremdkultur ab- und die Eigenkultur aufzuwerten. Man hat sehr starkes Heimweh und das Bedürfnis, sich zurückzuziehen. In dieser Phase kann es sogar zu einer Depression kommen.
  4. Akzeptanz / Erholung: Man beginnt, die kulturellen Unterschiede zu akzeptieren und Widersprüche auszuhalten und versucht, die andere Kultur in ihrer Tiefe besser zu verstehen.
  5. Akkulturation: Man hat sich erfolgreich integriert, versteht die Verhaltensregeln und beginnt sogar, Teile der ursprünglich fremden Kultur als „eigen“ wahrzunehmen.

Es ist sehr wichtig, den Kulturschock als solchen zu erkennen. Um ihn zu überwinden oder zumindest abzumildern gibt es diverse Strategien. Das Allerwichtigste ist jedoch, zu versuchen, nicht ständig die „fremde“ Kultur mit der „eigenen“ Kultur zu vergleichen und die als fremd empfundene Kultur dann nach eigenkulturellen Maßstäben zu bewerten. Nur so entwickelt sich schließlich eine Akzeptanz der kulturellen Unterschiede und ermöglicht es, die Fremdkultur besser zu verstehen und sogar von ihr zu lernen. Und das macht schließlich interkulturelle Kompetenz aus.


Interkulturelle Kompetenz durch ein Auslandsstudium

Für viele Studenten ist der Erwerb von interkultureller Kompetenz einer der Hauptgründe für ein Studium im Ausland. Doch wodurch zeichnet sich interkulturelle Kompetenz eigentlich aus? Zur kulturellen Vorbereitung auf ein Auslandsstudium gehört sicherlich auch, sich zu überlegen, wie ihr euch erfolgreich diese besondere Kompetenz aneignen könnt.

Interkulturelle Kompetenz bedeutet, dass man dazu in der Lage ist, sich sicher in Interkulturen zu bewegen und erfolgreich mit Angehörigen einer anderen Kultur zu kommunizieren. Dies setzt die Fähigkeit voraus, zu begreifen, dass sowohl ihr selbst als auch euer Interaktionspartner von der eigenen Kultur geprägt ist und dass dies zu Differenzen in Bezug auf Wahrnehmung, Urteile und Handlungen führt. Wer über interkulturelle Kompetenz verfügt, ist in der Lage, diese Unterschiede nicht nur zu erfassen und zu verstehen, sondern auch, sie zu respektieren, zu würdigen und produktiv damit umzugehen. Wenn beide Seiten sich darum bemühen, einander zu verstehen, kann eine ganz neue Ebene entstehen.

Interkulturelle Kompetenz setzt sich aus verschiedenen Eigenschaften zusammen: Empathie, Akzeptanz gegenüber anderen Ansichten und Werten, die Fähigkeit, sich in die Perspektive eines anderen hineinzuversetzen, Widersprüche auszuhalten und das eigene Verhalten durch Selbstreflexion zu hinterfragen.

Um interkulturelle Kompetenz zu erlangen ist natürlich interkulturelle Praxis am allerwichtigsten. Ein Auslandsstudium ist hierfür optimal, denn dabei gewinnt ihr nämlich nicht nur in akademischer Hinsicht. Es gibt wohl kaum Orte, die internationaler sind als Hochschulen. Hier lernt ihr nicht nur Studenten aus dem Gastland kennen, sondern kommt auch mit vielen anderen internationalen Studenten in Kontakt. Eine perfekte Möglichkeit, sich in Toleranz, Flexibilität und Offenheit zu üben. Durch die Gespräche und gemeinsamen Unternehmungen geht ihr den anderen Kulturen auf den Grund und lernt ganz neue Perspektiven und Denkweisen kennen.