Kultur - Eine Begriffsdefinition

Feste, Traditionen, Mythen und Rituale sind jahrhundertealte kulturelle Ausdrucksformen.

Was ist eigentlich Kultur und was für Konzepte von Kultur gibt es? So alt wie das Wort selbst (es stammt nämlich aus dem lateinischen Wort cultura), so alt ist auch die Diskussion darüber, was mit Kultur bezeichnet wird. Wir haben es hier mit einer recht langen Begriffsgeschichte zu tun. Zu beschreiben, was denn nun eigentlich Kultur genau ist, ist ein bisschen kompliziert und, zugegeben, auch ein wenig theoretisch.  

Wer gerne mit Spezialwissen glänzt und noch besser vorbereitet sein möchte als andere, ist hier genau richtig. Wer sich nicht gerne allzu ausgiebig mit der Theorie aufhält und eher nach praktischen Tipps für die kulturelle Vorbereitung auf das Auslandsstudium sucht, wird in unseren Ratgebertexten

ganz bestimmt fündig.

Kultur: Ein weites Feld!

Hier einen vollständigen Überblick über den Kulturbegriff zu geben ist natürlich unmöglich. Um kulturelle Unterschiede besser nachvollziehen, das Phänomen des Kulturschocks verstehen zu können und um sich fundierte interkulturelle Kompetenz anzueignen, ist es allerdings sehr hilfreich, sich Gedanken darüber zu machen, was gemeinhin als Kultur verstanden wird und was für Konzepte von Kultur es gibt.

Kultur, oder vielmehr Kulturen (denn „die“ Kultur gibt es nicht) als solche zu erfassen und zu beschreiben ist deshalb so schwierig, weil es sich nicht um ein „Ding“ oder eine Substanz handelt, sondern um Prozesse. Kulturen entstehen durch Kommunikation und durch Handlungen, weshalb sie auch ständig im Wandel sind. Kulturen sind also keine Gegenstände, sondern sie selbst bringen (unter anderem) solche hervor, wie etwa technische Errungenschaften, Literatur oder Kunstwerke, die dadurch auch zu einem Teil dieser Kultur werden.


Eng vs. weit. Geschlossen vs. offen

Wortgeschichtlich hat der Begriff „Kultur“ seinen Ursprung aus dem lateinischen Wort cultura (Pflege, Ackerbau, Bearbeitung), das sich wiederum auf das Verb colere, mit den Bedeutungen

  1. pflegen (Grundbedeutung)
  2. bebauen, Ackerbau betreiben, bewirtschaften
  3. (be)wohnen
  4. (aus)bilden, schmücken, veredeln
  5. verehren, anbeten

ableitet. Wie ersichtlich wird, handelt es sich hier also um etwas von Menschen Gemachtes, Gestaltetes. Deshalb wird Kultur auch gemeinhin als Gegensatz zur (unbearbeiteten) Natur begriffen. Anhand der Bedeutungen von colere lässt sich auch gut erkennen, auf welche vielfältigen Bereiche sich Kultur eigentlich erstreckt und dass es hier stets um die Beziehungen geht, die der Mensch zu sich und zu seiner Umgebung hat, die er also „pflegt“: Agrikultur, Soziokultur, Geistes-/Körperkultur und Sinnstiftung (wie etwa Religion).

Enger Kulturbegriff

Das Verständnis von Kultur wurde lange Zeit vor allem von der Bedeutung „(aus)bilden, schmücken“ dominiert, wobei den anderen Bedeutungen kaum oder gar keine Aufmerksamkeit zukam, wodurch sich der Begriff „verengt“ hat. Mit Kultur ist in diesem engen Sinne nur die „Hoch“kultur gemeint, wie Literatur, Kunst oder auch Wissenschaft. „Kultiviert“ zu sein bedeutete im 18. und 19. Jahrhundert beispielsweise in den Geisteswissenschaften „(aus)gebildet“ zu sein. Im „Kulturteil“ der Zeitung, dem Feuilleton, wird Kultur nach wie vor im engeren Sinne verstanden.

Erweiterter Kulturbegriff

Der erweiterte Kulturbegriff schließt auch alle anderen oben genannten Bedeutungsebenen von colere mit ein und bezieht sich auf die gesamte Lebenswelt des Menschen, sei es Sprache, Religion, Ethik, Technik oder Bildungssysteme. Innerhalb dieses erweiterten Kulturbegriffs gibt es zwei verschiedene Perspektiven: den geschlossenen und offenen Kulturbegriff.

Geschlossen

Die kulturellen Produkte (Sprache, Religion etc.) werden einem Territorium, einer Nation oder auch bestimmten Zeiträumen zugeordnet und darauf begrenzt. Sie werden also durch Grenzziehungen (z.B. an Landesgrenzen orientiert) geschlossen. Die einzelnen Kulturen und ihre Kulturprodukte werden also gewissermaßen in Container gepackt. Der geschlossene Kulturbegriff kommt dem Bedürfnis nach objektiver Beschreibbarkeit und Eindeutigkeit entgegen, indem er verschiedene Kulturen voneinander isoliert, sie etikettiert (z.B. individualistisch vs. kollektivistisch ect.) und somit strukturiert. Diese Ein- und Abgrenzungen sind hilfreich für eine grobe Orientierung, werden der Realität jedoch nicht gerecht und begünstigen die Entstehung von Stereotypen und Vorurteilen.

Offen

Der offene Kulturbegriff kommt der Tatsache gerecht, dass sich nationalstaatliche Strukturen zunehmend auflösen und sich vermehrt transnationale Organisationen herausbilden. „Kulturen“ sind hier beliebige, mehr oder weniger große Kollektive (von Nationalstaaten bis hin zu einer Internet Community), die durch Kommunikation miteinander vernetzt und eben nicht isoliert sind. Der offene Kulturbegriff ist eher sozial orientiert als räumlich (politisch, geographisch, sprachlich, geistesgeschichtlich) und spiegelt auch am besten die Tatsache wider, dass sich Kulturen im ständigen Wandel und im gegenseitigen interkulturellen Austausch befinden. Daher lassen sie sich bei genauerer Betrachtung auch nicht klar voneinander abgrenzen, sie sind, aufgrund ihrer Vernetzungen, an ihren Rändern „unscharf“, also „fuzzy“.


Kulturebenen

Religionen sind ebenfalls Kulturen. Sie können sowohl Makrokulturen, wie der Buddhismus, als auch Mikrokulturen (Sekten) sein.

Um Kulturen besser ausdifferenzieren zu können, unterscheidet man verschiedene Kulturebenen, die miteinander vernetzt sind. Je näher man sich die zunächst homogen erscheinende (Makro-) Kultur anschaut, desto mehr zeichnen sich Mikrokulturen ab, die wiederum aus vielen individuellen Idiokulturen bestehen.

  1. Universalia: Allgemeinmenschliches, alle Gesellschaften haben beispielsweise eine Sprache sowie Werte und Traditionen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.
  2. Kulturkreis: Mehrere Makrokulturen, „der Westen“ o.ä, beispielsweise mit derselben Sprache, Geschichte, mit einem ähnlichen Wertsystem usw.)
  3. Makrokultur: Dominierende Mehrheitskultur: Nation, Christentum etc.
  4. Mikrokultur: Dazu gehören beispielsweise Subkulturen, Internet Communities ect.
  5. Idiokultur: Die von einem selbst erlebte eigene Kultur, z.B. als Deutscher die eigene „deutsche“ Kultur; die individuell ausgeprägte Eigenkultur

Auf die Perspektive kommt es an!

Ist der geschlossene Kulturbegriff also falsch? Nein! Bei dem geschlossenen und dem offenen Begriff handelt es sich einfach nur um zwei verschiedene Perspektiven, die beide ihre Vor- und Nachteile haben. Beide zusammengenommen ergänzen sie sich optimal. Während die geschlossene Perspektive eher eine Art „Überblick“ darstellt und auf Vereinfachung abzielt, ist die offene Perspektive ein Heranzoomen und konzentriert sich auf die kleinen Details. Während die geschlossene Perspektive Orientierung bietet aber auch Vorurteile und Stereotypen begünstigt, so wird die offene Perspektive den realen Gegebenheiten in ihrer Vielfalt und Differenziertheit eher gerecht, kann aber auch zu Orientierungsverlust und zu Unsicherheiten führen („Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht“).

Wenn ihr während eures Auslandsstudiums mit anderen Kulturen in Berührung kommt, solltet ihr also versuchen, beide Perspektiven einzunehmen und miteinander zu kombinieren. Denn auch wenn man in Bezug auf eine Kultur feststellen kann, dass sie in ihrem Kern eher „kollektivistisch“ oder „individualistisch“ ist und dieses Wissen zunächst bei der kulturellen Vorbereitung auf den Auslandsaufenthalt hilfreich ist, so lassen sich diese Eigenschaften jedoch nicht auf alle Bereiche oder auf alle Menschen dieser Kultur einfach übertragen. Vor allem, da verschiedene Kulturen ja auch wiederum verschiedene Auffassungen darüber haben können, was „kollektivistisch“ / „individualistisch“ bedeutet.