30 Jan 2017
Auslandssemester als Türöffner

Mathematikstudent Johannes Schäfer im MINT-Interview

Erst San Diego, dann London: Mathematikstudent Johannes Schäfer macht seinen Master am Imperial College London.

Von Köln über San Diego bis nach London. Unser ehemaliger Semesterstipendiat Johannes Schäfer ist in den letzten Jahren viel herumgekommen. Als der Mathematikstudent im Herbst 2015 in sein Auslandssemester an der UCSD startete, ahnte er jedoch nicht, dass er sein komplettes Masterstudium in London absolvieren würde.

Wie inspirierend ein Auslandssemester sein kann, welche Perspektiven sich daraus eröffnen können und was für ein Mathematikstudium im Ausland spricht, verrät Johannes im MINT-Interview mit College Contact.

College Contact:
Wir haben das letzte Mal Ende 2015 während deines Auslandssemesters an der UCSD miteinander gesprochen. Was hat sich seitdem bei dir getan? Was machst du jetzt?

Johannes Schäfer:
Ich muss sagen, dass mich mein Auslandsaufenthalt dazu bewegt hat, meinen Master auch im Ausland zu machen. Ich bin jetzt in Großbritannien gelandet, genauer gesagt in London, und mache hier seit Oktober meinen Master am Imperial College. Und ich bin soweit auch ziemlich zufrieden damit. Es ist ein einjähriger Master und der sollte jetzt auch Ende des Jahres enden.

Mit ein bisschen Glück werde ich vielleicht auch noch weiter hier promovieren in Großbritannien, je nachdem wie das mit dem Brexit so läuft. Aber ich könnte mir auch vorstellen, auf längere Zeit hier zu bleiben.

College Contact:
Ist das auch wieder ein Masterstudiengang im Fach Mathematik?

Johannes Schäfer:
Genau, also der Studiengang nennt sich „Reine Mathematik“ und ist hauptsächlich fokussiert auf Geometrie. Deswegen bin ich auch im Nachhinein nochmal froh, das Auslandssemester gemacht zu haben, denn ich merke schon, dass ich das, was ich da gelernt habe, jetzt auch weiter benötige. Witzigerweise war es so, dass ich das ja einmal für meine Bachelorarbeit gebraucht habe und, wie sich herausstellt, für meine Masterarbeit wieder.


College Contact:
Du hattest an der UCSD auch einen Kurs im Bereich Differentialgeometrie belegt, oder?

Johannes Schäfer:
Genau. Und die Techniken, die man da gelernt hat, zu verstehen, werde ich jetzt in einem anderen Kontext benutzen, um ein bisschen tiefer in die Materie einzutauchen. Denn es stellt sich heraus, dass diese Hilfsmittel sehr vielfältige Anwendungen haben. Und da es momentan in der Forschung ein ziemlich beliebtes Tool ist, womit ich mich da in San Diego beschäftigt habe, kann ich sagen, dass mir das sehr viel gebracht hat, diesen Kurs an der UCSD zu belegen.


Ein Auslandsaufenthalt im Mathematikstudium kann helfen, Anregungen für die Bachelor- oder Masterarbeit zu sammeln.

College Contact:
Hast du deine Bachelorarbeit dann tatsächlich auch in dem Bereich geschrieben? Das war ja dein ursprünglicher Plan.

Johannes Schäfer:
Ja, genau, das war mein ursprünglicher Plan. Das, was ich jetzt mache, hat vielleicht noch ein bisschen direkter damit zu tun. Also meine Bachelorarbeit war auch in der Differentialgeometrie, aber vielleicht war es da eher so, dass man die grundlegenden Konzepte aus dem Kurs mitgenommen hat und jetzt in der Masterarbeit sind es eher die fortgeschritteneren Dinge, die man sich zunutze macht.

Da gibt es so was - das hat immer ganz komische Namen in der Mathematik -, das nennt sich „Ricci Flow“. Das ist eine bestimmte Gleichung in der Geometrie, die einem dabei hilft, geometrische Objekte besser zu verstehen, weil man sozusagen in der Zeit ein bestimmtes geometrisches Objekt verformt. Dann kann man über den Grenzwert Informationen gewinnen - oder anders gesagt: Wenn man sozusagen die Zeit der Verformung weiterlaufen lässt, kann man über das, was man rauskriegt, Rückschlüsse auf das ursprüngliche geometrische Objekt ziehen.

Das bietet in verschiedenen Bereichen ziemlich interessante und auch starke Möglichkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen. Und die Vorlesung in San Diego war eben eine Einführung in die Richtung, wie man das zu verstehen hat und wie man damit ein bisschen rumspielen kann.

In der Masterarbeit ist jetzt genau dieser Prozess, den ich gerade beschrieben habe, genau dieser Grundgedanke, warum diese Gleichung erfunden wurde, anzuwenden, um damit etwas Schönes zu beweisen. In der Bachelorarbeit, würde ich sagen, war es eher so, dass ich dadurch, dass ich in dem Kurs auch viele grundlegende Sachen in der Differentialgeometrie mitgenommen habe, die grundlegenden Dinge als Hilfskonstrukte im Hinterkopf hatte beziehungsweise dann auch genutzt habe.


College Contact:
Ich wollte dich ursprünglich fragen, ob du im Nachhinein nochmal im Bachelor ins Ausland gehen würdest oder eher im Master. Die Frage würde ich jetzt umformulieren und sagen: Du würdest wahrscheinlich unterstreichen, dass es durchaus Sinn ergibt, sowohl im Bachelor als auch im Master einen Auslandsaufenthalt zu machen, vor dem Hintergrund, was du gerade erklärt hast.

Johannes Schäfer:
Absolut. Natürlich unter der Voraussetzung, dass man eine Universität findet, die sich genau mit dem beschäftigt, was einem gefällt. Dann würde ich sagen, auf jeden Fall, und dass man sich das nicht entgehen lassen soll.

Auch wenn es auf den ersten Blick immer viel Bürokratie und Aufwand ist - gerade die Wohnungssuche in London zum Beispiel -, erscheint einem letztendlich der Aufwand im Nachhinein immer geringer, als er vielleicht eigentlich war. Man rückt dann doch die Vorteile mehr in den Blickwinkel, als das, was man dafür tun musste.


College Contact:
In unserem letzten Gespräch hast du gesagt, dass man Mathematik in den USA im Wesentlichen auch so macht wie in Deutschland. Weshalb würdest du sagen, hat man allgemein als Mathematikstudent trotzdem fachlich gesehen einen Mehrwehrt, wenn man im Ausland studiert?


",...wenn man die Chance hat, von bestimmten Experten etwas zu lernen, dann wäre das zumindest für mich der wichtigste Grund, ins Ausland zu gehen,..."


Johannes Schäfer:
Es kommt natürlich immer darauf an, was man machen möchte. Also mich interessiert die reine mathematische Forschung sehr. Da ist es natürlich immer so, dass an unterschiedlichen Universitäten unterschiedliche Spezialisten sind. Da die natürlich auch Vorlesungen geben, kann man hoffen, dass - wenn man einen Spezialisten gefunden hat - die Vorlesungen auch so ausgerichtet sind, dass sie versuchen, einen in ihr Spezialgebiet einzuführen.

Ich denke, wenn man die Chance hat, von bestimmten Experten etwas zu lernen, dann wäre das zumindest für mich der wichtigste Grund, ins Ausland zu gehen oder für mich war es der wichtigste Grund, in beiden meiner Fälle. Deswegen denke ich, dass man fachlich auf jeden Fall davon profitieren kann, wenn man mal woanders ist. Weil Vorlesungen eben nicht immer das gleiche Thema abhandeln, sondern weil man sie in unterschiedliche Richtungen auslegen kann.

Auch wenn sie den Titel „Differentialgeometrie“ haben, sind das natürlich wieder hunderte breit gefächerte Fachgebiete, in die man das Ganze aufteilen kann. Da muss es nicht unbedingt sein, dass man an der Universität, wo man angefangen hat, am Ende dann auch bleiben möchte. Deswegen kann ich es eigentlich nur empfehlen, dass man sich eine Universität, natürlich vorzugsweise im Ausland sucht, wo man etwas in dem Bereich lernen kann, der einen am meisten interessiert.


Ein Semester oder Vollstudium im Ausland hat nicht nur einen fachlichen, sondern auch einen persönlichen Mehrwert.

College Contact:
Zumal dann ja noch der persönliche Mehrwert dazukommt und die Sprachkenntnisse.

Johannes Schäfer:
Genau. Das sieht irgendwie schon gut aus im Lebenslauf, also natürlich nur dann, wenn man notenmäßig nicht komplett absackt, aber da gehe ich mal davon aus, dass man das in der Regel hinkriegt.

Man erscheint, glaube ich, seinem zukünftigen Arbeitgeber ein bisschen flexibler, wenn man sagt, wo man schon überall war. Allein dass man auf persönlicher Ebene in der Lage ist, Kontakte zu knüpfen. All das sagt ja auch viel über den Charakter aus. Für mich sehe ich das immer noch als Win-win-Situation, dass ich im Ausland gewesen bin.


College Contact:
Und dazu kommt noch, was sich bei dir jetzt im Anschluss an das Semester ergeben hat. Ich weiß nicht, ob du damit vorher gerechnet oder das eventuell geplant hast, aber oft ergibt sich das ja wirklich erst.

Johannes Schäfer:
Ja, genau. Für mich war der Auslandsaufenthalt in San Diego - eine Inspiration ist vielleicht zu hoch gestochen - aber ein Motivationsgrund, den Master auch im Ausland zu machen.


College Contact:
Warum denkst du, dass sich trotzdem so viele Mathematikstudenten dafür entscheiden, nicht ins Ausland zu gehen oder das vielleicht erst gar nicht in Erwägung ziehen?

Johannes Schäfer:
Es ist natürlich einmal dieser bürokratische Aufwand. Man muss sich schon viel damit beschäftigen, wo man hinwill, und sozusagen seine Hausaufgaben machen, damit man sich richtig entscheidet. Diese erste Hemmschwelle muss man erstmal überwinden.
Aus anderen Gründen - ich bin nicht sicher. Ich sehe eigentlich keinen anderen Grund. Ich würde auch sagen, es ist eher Bequemlichkeit als wirkliches Desinteresse.


College Contact:
Und dass der Gedanke eine Rolle spielt, dass es vielleicht nicht unbedingt notwendig ist, weil man auch so als Mathematiker auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland vergleichsweise gut Fuß fassen kann?


",...ich denke auch, dass Mathematiker nicht unbeliebt sind, aber ich glaube, ein Aufenthalt im Ausland macht einen nur noch beliebter."


Johannes Schäfer:
Ah, ja stimmt. Vielleicht bekommt man zu oft gesagt, auch in der Schule schon, dass Mathematiker die Leute sind, die alle Unternehmen gerne haben. Vielleicht ist es das, was den Wind aus den Segeln nimmt. Ich meine, gut, das stimmt, ich denke auch, dass Mathematiker nicht unbeliebt sind, aber ich glaube, ein Aufenthalt im Ausland macht einen nur noch beliebter.


College Contact:
Viele ziehen vielleicht auch nicht in Betracht, was sich aus einem Auslandsaufenthalt ergeben kann und welche Perspektiven sich für die eigene Zukunft eröffnen können.

Johannes Schäfer:
Also ich kann nur sagen, dass mich der Auslandsaufenthalt doch sehr verändert hat in Bezug auf meine Vorstellung davon, wie ich später mal leben möchte. Ich bin ein bisschen offener geworden, und könnte mir auch vorstellen, jetzt für längere Zeit im Ausland zu bleiben, vielleicht auch auf ewig. Das dachte ich vorher nicht.


College Contact:
Zum Abschluss würde mich interessieren, ob du für deine Promotion schon eine Vorstellung davon hast, in welche Richtung es gehen soll?

Johannes Schäfer:
Ich würde gerne hier bleiben zum Promovieren. Am Imperial College gibt es ein sehr bekanntes Doktorandenprogramm. Allerdings ist sehr schwer da reinzukommen. Deswegen habe ich jetzt in der nächsten Woche ein Vorstellungsgespräch. Es wäre das Nonplusultra, wenn das klappt.

Aber sonst gibt es noch ein paar andere Plätze in Europa oder auch erstmal in Großbritannien, die mich interessieren würden für eine Promotion. Aber ich hoffe natürlich, hier bleiben zu können.

College Contact:
Wir drücken dir die Daumen. Vielen Dank für das Gespräch, Johannes.

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