10 Feb
Erfahrungsbericht von Jasper F.

Riga Stradins University

Stadt: Riga
Land: Lettland
Kontinent: Europa
Studienrichtung: Medizin
Studientyp: Sonstige Studiengänge
Zeitraum: 08/2011 bis 08/2017

Hochschule:
Studieninhalte:
Studienbedingungen:
Freizeit:
Spaß:
Kosten:
Gesamtbewertung:

Moin, Moin!
Mein Name ist Jasper, ich bin 20 Jahre alt und studiere seit einem halben Jahr Medizin an der
Riga Stradins University (RSU). In meinem Bericht werde ich mich auf die Studienbedingungen
und die Studieninhalte konzentrieren. Doch zu Anfang ein wenig zum Leben in Riga als
internationaler Student.

Die RSU stellt internationalen Studenten kompetente Starthelfer zur Seite: ältere Studenten, die
als Buddies beim Start in der fremden Stadt, in der Lettisch und Russisch gesprochen wird, stehen
mit Rat und Tat vom ersten Tag an zur Seite. Man wird auch sonst nicht direkt ins kalte Wasser
geworfen, sondern hat in der Orientierungswoche die Möglichkeit, die neue Umgebung
kennenzulernen. Es ist allerdings empfehlenswert, in dieser Zeit Organisatorisches zu erledigen:

  • Kontoeröffnung
  • lettische Handykarte kaufen(Anbieter eigentlich egal; alle vergleichsweise günstig)
  • Bücher besorgen (gekauft werden muss im ersten Semester nur ein Anatomieatlas mit lateinischer Nomenklatur und das grüne RSU- Anatomiebuch; alles andere Stellt die Uni)
  • Eine feste Bleibe finden; dabei hilft die Seite „ss.lv“ sehr gut weiter - die größte lettische Kleinanzeigenseite.

Erledigt man diese Dinge am Anfang, hat man später mehr Zeit für das Studium. Man braucht ein
paar Wochen, um sich in der Stadt einzuleben. Dabei hilft die RSU auch während des Semesters.
Der Kurs„cross cultural relations“ fördert das Verständnis für die Kultur, Geschichte und das
Selbstverständnis der Letten. Dazu gehört beispielsweise folgende Auffassung : „Wir leben in
einem kleinen Land, von dem viele kaum wissen, geschweige denn eine Idee davon haben, wo es
liegt. Folglich sind wir niemand; trotzdem sind wir stolz, Letten zu sein“. So paradox es klingt, es
trifft des Pudels Kern.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Leidensgeschichte der Letten während der Okkupation durch
die Sowjetunion. Man bedenke: Als unsere Großeltern nach dem zweiten Weltkrieg angefangen
haben, die zerstörten Städte wieder aufzubauen, wurde Lettland besetzt, politisch und ökonomisch
begann eine unvorstellbare Leidenszeit für die lettische Bevölkerung. Und dies hielt an, bis
Lettland vor etwas mehr als 20 Jahren unabhängig geworden ist.

Selbstverständlich ist es wichtig, Lettisch zu lernen. Es gehört zum Curriculum des
Medizinstudiums an der RSU. Spricht man Lettisch, wird das Einkaufen auf dem Markt
preiswerter. Sobald man Englisch spricht, wird versucht, daraus Profit zu schlagen.
Auch etwaiges Heimweh bessert sich, da sich das Land auf einmal öffnet: Letten freuen sich sehr
wenn man als Ausländer in ihrer Sprache mit ihnen spricht. Häufig antworten sie auf Englisch,
jedoch sehr viel freundlicher, als wenn man sie direkt auf Englisch angesprochen hätte. Ein
weiteres lettisches Paradoxon.

Das Curriculum der medizinischen Fächer ist vergleichbar mit dem deutschen Studium. Am
arbeitsintensivsten sind die Fächer Anatomie und Molekularbiologie. In beiden Fächern sollte man
von Anfang an kontinuierlich arbeiten. Man hat sowohl Vorlesungen als auch praktischen
Unterricht in Kleingruppen (den so genannten „classes“) mit acht bis zwölf Studenten. Das
Wissen wird in regelmäßigen Abständen in Form von Kolloquien und Tests überprüft. Tests darf
man sooft schreiben, bis man besteht; fällt man durch ein Kolloquium zweimal durch, muss man
das ganze Semester wiederholen. Unabhängig davon, ob man die nächsten Kolloquien besteht.
Das Englisch der Dozenten ist verständlich, jedoch nicht ausgesprochen gut. Das Fachvokabular
beherrschen sie, was meiner Meinung nach entscheidend ist.

Gegen Ende des Semesters hat man in einigen Fächern Examina. Die drei Hauptexamen sind in
Anatomie, Zellbiologie und Chemie.
Im vorklinischen Studium fehlt vielen Studenten der Bezug zur Medizin, da in Fächern wie
Chemie, Mathematik, Biologie und Physik Grundalgen vermittelt werden. Mir hat an der RSU
sehr gut gefallen, dass besonders im Fach Molekularbiologie Funktionsweisen des Körpers anhand
von Pathologien veranschaulicht werden. In Fächern wie Ethik und Medizinrecht muss man sich
bereits in die Rolle des Arztes versetzen, wenn Themen wie Sterbehilfe diskutiert werden.

Für deutsche Studenten ist das erhoffte Wechseln nach dem „Physikum“ immer ein wichtiger
Punkt. Es ist häufig nach den ersten zwei Jahren nur noch über eine Klage möglich. Mittlerweile
mache ich mir keine Illusionen mehr, einen klinischen Studienplatz in Deutschland zu bekommen
und stelle mich auf 6 Jahre Studium in Lettland ein, auf die ich mich allerdings sehr freue. Das
Studium gefällt mir bisher sehr gut; ein buntes und preiswertes kulturelles Angebot macht den
Ausgleich zum Lernen leicht. Im Vergleich zu meinen Kommilitonen in Deutschland ist mein
Lebensstandard durch meine preiswerte und schöne Wohnung hoch. Selbst bis zum nächsten
Windsurfspot benötige ich nur eine halbe Stunde. Viele Heimwehkranke vergessen manchmal:
The grass is not always greener on the other side.

Wer kann, sollte sich bei der RSU bewerben. Die RSU reizt ihre Kapazitäten bereits jetzt aus und
wird bald mehr Bewerber ablehnen müssen. Die Studentenzahlen sind in den letzten Jahren
explodiert und die Tendenz ist steigend.

Darüber hinaus investiert die RSU im Moment kontinuierlich in neues Labormaterial, renoviert
das denkmalgeschützte Anatomikum und hat gerade eine neue Cafeteria eröffnet.
Ich freue mich auf jeden Fall auf die nächsten Semester in einer tollen Stadt, als Student in
meinem Traumfach Medizin und wünsche allen Bewerbern viel Erfolg!