18 Feb
Erfahrungsbericht von Franz Paul S.

Riga Stradins University

Stadt: Riga
Land: Lettland
Kontinent: Europa
Studienrichtung: Humanmedizin
Studientyp: Sonstige Studiengänge
Zeitraum: 09/2013 bis 11/2019

Hochschule:
Studieninhalte:
Studienbedingungen:
Freizeit:
Spaß:
Kosten:
Gesamtbewertung:

Ich sitze in meiner WG am Küchentisch, die Wohnung ist im 5. Stock, so dass ich aus dem Fenster schauen und den Schnee auf den Dächern Rigas sehen kann, in der Mitte ein Kirchturm.

Zum ersten Mal sitze ich auf der anderen Seite, denn vor einigen Monaten saß ich genau, wie einer von Euch an meinem Computer und las mir einige Erfahrungsberichte durch. Alles was ich las, waren für mich letztendlich nur Geschichten, nichts wirklich Greifbares. Wer studiert denn schon in Riga und wo liegt das eigentlich nochmal genau? Welche Sprache(n) spricht man dort?

Ich bin Franz (24 & im 2ten Semester), Rettungsassistent, habe meine Ausbildung gleich nach dem Abitur begonnen und anschließend anderthalb Jahre im öffentlichen Rettungsdienst gearbeitet. Meine Arbeit hat mir immer Spaß gemacht, kein Tag war wie der andere und die Arbeit war meist eher ein Handwerk, wofür man etwas medizinisches Fingerspitzengefühl natürlich sehr gut gebrauchen konnte; eigentlich eine perfekte Kombination für mich, doch irgendwas fehlte mir.

Für mich gab es mehrere Gründe, Deutschland zu verlassen und mein Leben zu verlagern, um Arzt zu werden.

Wie bei vielen anderen war ein wesentlicher Grund mein Abiturzeugnis. Eigentlich ein gutes Abitur aber dennoch nicht gut genug, um in Deutschland zu studieren.
Außerdem hatte ich schon während meiner Schulzeit viel Zeit im Ausland verbracht, auch in meinen Urlaubstagen zog es mich immer wieder weg von zu Hause, allerdings nie länger als ein halbes Jahr. Der Reiz auf etwas Neues und Außergewöhnliches war auf einmal wieder da.

So gingen also die Überlegungen mit anschließenden Bewerbungen bzgl. eines Studiums im Ausland los, doch eigentlich war nur noch Riga plötzlich interessant für mich. Medizin auf Englisch in der lettischen Hauptstadt Riga studieren, von Hamburg mit dem Flugzeug knappe zwei Stunden Entfernung, die Stadt liegt auch am Wasser, 2014 wird sie Kulturhaupstadt, viele positive Bewertungen von Studenten...

Um es kurz zu machen, ich bekam eine Zusage, kündigte meinen Job, trat aus dem Fußballverein aus, ließ Familie und Freunde hinter mir, gab meine Wohnung auf, stellte mein Motorrad in die Garage... alles, um Medizin zu studieren, ohne zu wissen, wie lange man hier bleiben würde.

Bis hierhin war es für mich die beste Entscheidung!!!
Meine Freunde und Familie besuchen mich, ich mache hier Sport, mein Motorrad wartet bis zum Sommer auf mich und ich studiere Medizin. Natürlich vermisse ich immer noch vieles, aber was einem wirklich wichtig ist, das bleibt. Hinzu kommt viel zuvor Unbekanntes, was man hier erlebt.

Gerade die ersten Wochen gingen drunter und drüber. Wohnungssuche, Orientierungswoche mit nicht wenigen "Nachtwanderungen", Unistart, Anmeldung hier, Anmeldung dort, dieses und jenes in Deutschland vergessen, Portmonaie verloren und und und...ich lebe immer noch, und das nicht schlecht, sehr gut sogar.

Riga ist eine tolle Stadt. Gerade in der Inntenstadt gibt es natürlich viele kleine Bars, Restaurants, Clubs, Einkaufszentren, aber auch drumherum lässt es sich erstens sehr gut leben und zweitens kommt man immer in weniger als 10min in die Altstadt.
Umso weiter man sich allerdings vom Kern entfernt, desto unangenehmer wird es. Ich gebe zu, ich lasse mich noch zu oft vom Zentrum blenden, denn die Armut ist in Lettland definitiv ein großes Thema. Entfernt man sich nur 3-4km vom Kern, trifft man auf zerfallene Betonblocks, Handtücher, Decken, Bretter vor Fenster und Türen genagelt, kaputte Straßen, Obdachlose. Dort kam es mir vor wie ausgestorben. Vor einer Woche kam ein Kind zu mir, um zu betteln; das ist aber nicht die Regel.

Leider ist man sonst kaum mit Letten in Kontakt. In der Universität ist man hauptsächlich unter internationalen Studenten (denn mit denen teilt man Kurse und Vorlesungen), am Wochenende geht man gerne raus, natürlich auch mit den Mitstudenten, selten unterhält man sich wirklich mit Letten, und das geht nicht nur mir so. Das macht das Lernen der Sprache, die ohnehin schwer ist, nicht gerade leichter. Hinzu kommt, dass der Anteil der russischen Bevölkerung sehr groß ist und gerade die Älteren sprechen oft nur gebrochenes Lettisch und kein Englisch.

Seit dem Euro ist hier vieles teurer geworden, was dem Land hoffentlich nicht allzu sehr mit gestrecktem Bein in den Rücken springt. So kostet beispielsweise ein Bier in einer einer bei Studenten beliebten Kneipe nicht mehr 1,20LVL/1,70€ sondern 2,50€. Und das ist hier mit den meisten Preisen so.

Die Uni gefällt mir gut. Es gibt noch einige alte Ecken, vieles wurde aber auch schon erneuert.

Was mich allerdings stört, ist die teilweise wirklich schlechte Kommunikation zwischen Studenten, Professoren und dem International Students Department. Man weiß seine Prüfungsdaten manchmal nicht, der Stundenplan wird ohne Wissen der Studenten verändert, Materialen werden nicht oder zu spät zur Verfügung gestellt, wichtige Entscheidungen bekommt man manchmal nicht mit, hat man ein wirklich wichtiges Anliegen, ist niemand erreichbar. Was das angeht, ist man leider oft auf sich alleine gestellt. Man bekommt trotzdem alles irgendwie immer hin, gar keine Frage.

Am meisten Sorgen hatte ich mir eigentlich vor dem Einstieg gemacht. Aber man wird nicht ins kalte Wasser geschmissen, keiner bleibt auf der Strecke, wer allerdings faul ist, ist selbst Schuld; einen faulen Arzt kann niemand gebrauchen.
Um das Studieren an sich, braucht man sich nicht die größten Sorgen machen. Denn man hat sich vorher überlegt, ob man wirklich Medizin studieren möchte. Keiner sollte Medizin ohne Motivation studieren. Es ist nicht wichtig, was man macht, sondern wie man es macht.

Das Leben ist besonders, hat gute sowie schlechte Seiten. Wenn du offen für Neues bist, dich von zu Hause lösen kannst und auf die Frage, ob dir irgendwas im Wege stehen könnte, Arzt zu werden, mit "nein" antwortest, dann zögere nicht länger. Man lässt sich hier nicht nur auf ein Medizinstudium ein, sondern man geht in eine neue Stadt, in ein neues Land, zwischen neue Leute und lernt ein völlig anderes Leben kennen.